Corona und die Tiere – unser alltäglicher Frust

Heute müssen wir unserem Frust Luft machen!
Wir erleben fast täglich Katastrophen und sie reißen nicht ab! Die Pandemie hat den Wunsch und Bedarf an Tieren, vor allem Hundewelpen massiv ansteigen lassen.
Egal welche Medien man konsumiert (Zeitung, Fernsehen, Internetforen, soziale Netzwerke usw.), sobald man nach dem Stichwort „Hund“ oder „Welpe“ sucht, begegnet einem Vielfältiges: deklariert als „Hund aus Familienhand“, „aus Hobbyzucht“, „Wurf der aus Versehen entstand“, aus einer „Tötungsstation gerettet“ oder ähnliche Geschichten; sie variieren nur gering.
Wer ein wenig aufmerksam ist und die Augen aufmacht, sieht das dahinter häufig (!) widerwärtige Vermehrungsstationen, Menschen mit Geldgier ohne Ahnung von Tieren, grausame Importszenarien vermeintlicher Tierschutzorganisationen und haufenweise viel zu junge, hochgradig kranke Tiere stehen. Die Geschichten zu diesen Tieren sehen immer gleich aus und sind meist herzzerreißend!

Jetzt will aber jede/r ein Haustier und kneift dann plötzlich beide Augen zu:

– angeblich entwurmt, aber die Würmer schon am Erbrechen (Anmerkung: Würmer wollen nicht raus, denn im Darm ist es warm und es gibt gutes Essen; raus kommen sie nur wenn es im Darm zu voll ist!);
– angeblich von gesunden Elterntieren einer bestimmten Rasse, aber auf den ersten Blick schon von einer anderen Rasse als die versprochene; das Muttertier war nicht vor Ort…
– ganz bunt wird es bei den Impfungen: wenn es überhaupt einen Ausweis gibt, dann sind dort häufig krude, ganz offensichtlich nicht von Fachmenschen ausgefüllte Felder mit irgendwelchen Vermerken, die angeblich die Impfung des Tieres dokumentieren sollen.
– bei vermeintlichen „Rassehunden mit Papieren“ gibt’s die Papiere erst im Nachhinein, die dann auf dem Postweg „verloren gingen“ oder die Telefonnummern der „Züchtenden“ plötzlich nicht mehr zu erreichen ist.
– die Tiere sind schon in ersichtlich jämmerlichem Zustand und alles andere als im Netz so hübsch beworben, greift dann die Mitleidstour: „ich wollte den armen Hund doch nur retten!“ „der Hund geht sonst zurück in die Tötungsstation“…
Auf menschlicher Begierde, Ungeduld und vor allem Mitleid basiert dieses widerwärtige Geschäft.

Tiere zu vermehren – und hier meinen wir vor allem Hunde und Katzen – ist ein Geschäft! Damit verdienen Menschen viel Geld, die Gewinnspannen sind immens. Niemand reguliert diesen Markt, keine*r schaut hin!
Leidtragende sind in erster Linie die Tiere. Sie und Euch, liebe Besitzerinnen und Besitzer möchten wir an dieser Stelle ausnahmsweise mal ausklammern und uns Tierärztinnen und Tiermedizinische Fachangestellte nennen. Wir alle haben diesen Beruf einmal erlernt, um Tieren zu helfen und zu deren Wohlergehen beizutragen. Zu sehen, wie uns täglich …
– dank fehlender Sozialisation oder tagelangen Transporten unter katastrophalen Umständen höchstgradig panisch-verängstigte Hunde,
– viel zu früh und damit illegal abgegebene Babys mit noch nicht einmal sieben Wochen vorgestellt werden oder
– Tiere in teils katastrophalem Gesundheitszustand (Parvovirose, abgebrochene Zähne, verwurmt, voller Flöhe und anderer Parasiten, Missbildungen an Zähnen, Zehen und Augen und so weiter und so fort)
… vorgestellt werden, tut weh und lässt die Freude am Beruf dramatisch sinken.
Früher haben wir uns immer auf Welpen gefreut; heute halten wir erst einmal die Luft an. Dann seid ihr bei uns und wir erzählen euch von den Problemen eures Tieres und den damit verbundenen Kosten. Im besten Fall befolgt ihr unseren Rat und schließt zumindest sofort eine Krankenversicherung ab; in vielen Fällen glaubt ihr uns nicht. Das Problem kommt einige Zeit später, wenn wir nach Ratenzahlungen angefragt werden, weil die erste kostenintensive Problematik nicht lange auf sich warten lässt.

Natürlich (zum Glück!!!) liebt man die Tiere schnell abgöttisch und tut alles für sie. Aber das Leid, das sie bis an ihr (manchmal sehr frühes) Lebensende ertragen müssen, tragen wir alle mit. Wir, die im Tiermedizin-Bereich Arbeitenden, sind Menschen mit Gefühlen und auch wir leiden mit euren Tieren.
Glaubt nicht, dass Tiere uns ihr Leid zeigen und gar Lautäußerungen machen: das tut nur der Mensch! Sie leiden stumm: die Atemnot der Französischen Bulldoggen, Old English Bulldogs und anderer Kurznasen, die Hüftschmerzen der Schäferhunde, die von menschlicher Seite anerzogene Sucht des Border Collis nach Bällchen, die Scottish Fold Katzen mit ihren katastrophalen Gliederschmerzen, die Main Coon mit ihrer Herzmuskelerkrankung…. Die Liste ist unendlich lang.

Warum muss in unserer Gesellschaft ein Bedürfnis sofort befriedigt werden? Wenn ich mir ein Tier anschaffen will, sollte ich mir vorher Gedanken darüber machen, was ich mit mir und dem Tier vorhabe, mir dann Gedanken darum machen, was für ein Typ Hund oder Katze zu mir passt und was für Kriterien erfüllt sein müssen, um sich ein gesundes Tier anzuschaffen. Das geht nicht spontan übers Wochenende! Es ist eine Entscheidung für die nächsten 10 – 20 Jahre!
Die Kosten, die bei einer professionellen Beratung VOR der Anschaffung eines Haustieres entstehen, sind ein Witz gegen das was hinterher passiert, wenn wieder mal ein Tierkauf kurzerhand und spontan getätigt wurde.  Aber alle glauben, der Kelch gehe an einem vorbei und man hat bestimmt Glück. Dieser Glaube hält meist nur bis zum ernüchternden ersten Besuch in der Tierarztpraxis…

Wir haben uns das nicht ausgedacht; alle (!) beschriebenen Fälle sind in den letzten vier Wochen mehrfach so in unserer Praxis vorgekommen, so dass hier niemand Einzelnes gemeint ist! Wir wissen aber, dass wir hiermit viele unserer Kundinnen und Kunden treffen und schreiben das trotzdem so öffentlich, weil wir euch das oben genannte vorher in persönlichen Gesprächen bereits Auge in Auge erzählt haben.
Aber genauso wie viele von euch Lesenden sich vielleicht an den Karren gefahren fühlen, müssen auch wir mal unserem tagtäglichen Frust Luft machen; – vielleicht der einzige Weg das momentane Leid zu ertragen.

Das Team der Tierarztpraxis Münzenberg